20.12.2011 | PDF
Automobil Produktion
Der chinesische Autozulieferer NINGBO HUAXING ELECTRONICS (NBHX) erwarb gerade Teile der Anfang 2011 in die Insolvenz gegangenen fränkischen Sellner-Gruppe. Damit ist die Versorgung von BMW, Audi oder Daimler mit Holzzierteilen sichergestellt.
Die Tinte unter den Verträgen zur Übernahme des Spezialisten für Innenraum-Zierteile ist noch ganz frisch. Im chinesischen Ningbo unterzeichneten jüngst der NBHX-President Xiao Feng und der Sellner-Insolvenzverwalter Joachim Exner von der Kanzlei Dr. Beck & Partner die Papiere. Damit kauft erstmals ein chinesischer Automotive-Lieferant einen deutschen Zulieferer, der vornehmlich Holzzierteile für den Premium-Fahrzeugmarkt entwickelt und fertig.
Ningbo HuaXiang Electronics steigt mit diesem Zukauf quasi über Nacht, neben dem Marktführer Novem im bayerischen Vorbach und dem französischen Lieferanten Faurecia, zu einem der drei weltweit größten Anbieter für Holz-Elemente im Fahrzeug-Innenraum auf. Sellner, das größtenteils übernommene Unternehmen mit Sitz in Neuendettelsau bei Nürnberg, beschäftigt über 2 100 Mitarbeiter an 15 Standorten und beliefert Premium-Autobauer wie BMW, Daimler, Porsche und Audi mit Zierteilen aus Holz, Aluminium und Carbon. Die Franken gerieten in Schieflage, weil sie sich bei einigen Aufträgen übernommen, beziehungsweise massiv verkalkuliert hatten. Zudem war auch die Fehlerrate in der zugegebenermaßen schwierigen Holzbearbeitung mit teils 50 Prozent inakzeptabel.
Mit der Übernahme durch das chinesische Privatunternehmen Ningo HuaXiang Electronics soll die langfristige Belieferung der Premium-Kunden insbesondere mit den hochkomplex herzustellenden Zierteilen aus Holz sichergestellt werden. Spätestens seit Jahresbeginn 2011 mussten Kunden wie BMW und Daimler den insolventen Lieferanten auch finanziell stützen, damit nicht zuletzt auch deren Fahrzeugproduktion überhaupt weiterlaufen konnte.
Die neue Geschäftsführung der nun chinesischen Sellner wird nach dem Willen von NBHX-Präsident Zhou aber fast komplett mit deutschen Managern besetzt. Zu dieser neuen Führungsriege gehören nach Angaben des Unternehmens auch ehemalige BMW-Einkäufer. BMW gilt mit einem Anteil von geschätzt 75 Prozent als größter Sellner-Kunde. Kein Wunder also, dass insbesondere die Münchner ihren Bestandslieferanten, den Chinesen Zhou und seine HuaXiang-Holding leitende Familie, zu diesem Einstieg ermutigten. Zhou, zweiter Sohn der Familie, betont zudem auch, dass seine Zielsetzungen mit den akquirierten Sellner-Teilen langfristiger Natur seien. Er selbst lernt gerade fleißig Deutsch, bewundert die deutsche Mentalität sowie Arbeitsweise und plant in Süddeutschland einen Zweitwohnsitz zu nehmen, um das neue Unternehmen besser kennenzulernen und managen zu können. Die von ihm geführte Ningbo Huaxing Electronic Co., Ltd. (NBHX) ist Teil der Familien-Holding, die jährlich umgerechnet rund 1,3 Milliarden US-Dollar umsetzt, davon bis zu 700 Millionen direkt mit Automotive.
Seit 2005 ist die NBHX, welche selbst rund 300 Millionen Dollar pro Jahr erwirtschaftet, an der Shenzhen Stock Exchange gelistet. Die Kriegskasse ist also durch diesen parziellen Börsengang gut gefüllt – Zhou ist auf Einkaufstour.
Die Firma existiert seit 2001 mit Hauptsitz in Ningbo, Provinz Zhejiang. Zu ihr gehören 15 Tochterunternehmen in China mit rund 5 000 Mitarbeitern. NBHX beliefert Autobauer wie Shanghai-VW, SAIC, FAW-VW, FAW, Shanghai-GM, FAW-Toyota, Dongfeng, Nissan, Brilliance-BMW und Audi mit Kunststoff-Zierbauteilen im Fahrzeug-Innen- und – Außenbereich sowie auch mit Metall-, Elektronik- und Klimaanlagen-Komponenten.
Zu den bekanntesten Modellreihen mit NBHX-Teilen auf dem chinesischen Markt gehörten so illustre Namen wie VW Passat, Tiguan, Lavida, Sagita, Golf A6, Santana und der Jetta, Audis Q5 und A6, Skoda-Modelle oder Marken/Modelle wie Buicks New Regal, von Roewe, Toyotas Crown, Reiz, Corolla und Teana sowie diverse Mazda-Autos.
Wie kam es überhaupt zu dieser Übernahme? Bislang sind nur relativ wenige chinesische Firmen bei deutschen Autolieferanten eingestiegen. Doch das ändert sich gerade: Jüngst bekam etwa Preh in Bad Neustadt mit Joyson eine chinesische Muttergesellschaft, ebenso mit Stammsitz in Ningbo. Bei Preh gehörte übrigens auch Ningbo HuaXiang Electronics zum Kreis der Kaufinteressenten. Eine klare Spur führt zur Schlemmer GmbH mit Sitz in Poing bei München. Der dortige CEO der Schlemmer Group, Josef Minster, unterhält seit über zehn Jahren gute Kontakte zu den Ningbo-Verantwortlichen. Schlemmer war der erste nicht-chinesische Partner von Ningbo HuaXiang. Mit NBHX betreibt Schlemmer dort seit 2001 ein Joint Venture zur Fertigung von medienführenden Schläuchen, Ölleitungen und Temperatursensoren für Autofabriken von Volkswagen und GM in China. Josef Minster berät daher seinen Freund Zhou Xiao Feng und unterstützte ihn nach Kräften bei der Neubesetzung des Sellner-Boards. Einer derjenigen, der beispielsweise den interimsweise agierenden Geschäftsführer des Insolvenzverwalters bei der Sellner Holding, Hermann Kampling, ablösen wird, ist der ehemalige BMW-Einkäufer Stefan Clemens. Der Österreicher wird neuer CEO der nun chinesischen Sellner-Teile. COO soll Bernd Hauser werden. Der bisherige Senior Engineer Director bei der Ningbo Merkt Automotive Decorative Parts Co. hat als Deutscher vor Ort in Ningbo die Übernahme begleitet. Daneben unterstützt NBHX ein ganzes M&A Beraterteam, darunter die Commerzbank, Deloitte sowie die Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer. Interimsmanager Kampling kümmert sich derweil mit Insolvenzverwalter Joachim Exner darum, die noch nicht veräußerten Sellner-Bereiche am Laufen zu halten und zu veräußern. Er meint, die Aussichten seien gut, Verträge mit weiteren potenziellen Käufern der Sellner-Firmenteile bereits in Vorbereitung.
Ohne Hilfe einer weiteren wichtigen Partei wäre die bereits umgesetzte Übernahme durch NBHX freilich nicht zustande gekommen. Das BMW-Lieferantenrisikomanagement im Einkauf der Münchner, insbesondere in Person von Georg Socher, hat maßgeblich dazu beigetragen, dass NBHX bei Sellner einstieg. Darin sind sich alle Beteiligten einig, Der größte Sellner-Kunde BMW hatte natürlich ein Eigeninteresse, er saß schließlich mit Daimler und Audi auch im Gläubigerausschuss des Lieferanten und hielt ihn am Leben. Der Münchner OEM wollte aber zugleich erreichen, dass sein chinesischer Zulieferer endlich auch in Europa Fuß fasst. Damit sich dessen Engagement bei Sellner lohnt, wurde ein Auftrag für ein Holzpaket im Nachfolgemodell des aktuellen BMW 3er bereits gefixt.
Der Wert eines zumal insolventen Lieferanten bemisst sich natürlich stark an dem noch vorhandenen Auftragsvolumen. Der Preis für die relevanten Sellner-Firmenteile wurde zwar nicht offiziell bekannt gegeben, es wird aber über einen Verkaufspreis deutlich über 40 Millionen Euro gemunkelt. Kein schlechter Deal für Teile einer Gruppe, die von sich behauptet, 2010 noch über 280 Millionen umgesetzt zu haben. NBHX hat sich mit Wech im tschechischen Cheb einen wichtigen Sellner-Lieferant und Holzbearbeiter gleich mit gesichert.
Und mit Harald Stuck als beratenden Repräsentanten der NBHX in Europa soll übrigens noch ein weiterer ehemaliger BMW-Mitarbeiter, der früher Einkaufsleiter der Münchner in China war, nach weiteren attraktiven, westlichen Übernahmekandidaten für seinen chinesischen Auftraggeber Ausschau halten. NBHX-President Zhou wird also weiter shoppen gehen.
Andreas Gottwald in der Automobilproduktion Dezember 2011