2016-07-26 | PDF
Existenz Magazin
Über das Pro und Contra des Schutzschirmverfahrens und die (vorläufige) Eigenverwaltung lieferten sich beim „MANNHEIMER INSOLVENZRECHTSTAG“ Rechtsanwalt: JOACHIM EXNER (Dr. Beck & Partner, Nürnberg), und PROF. DR. CHRISTOPH THOLE (Universität Tübingen) einen freundlichen Schlagabtausch. Die 230 Teilnehmer der vom Zentrum für Insolvenz und Sanierung an der an der Universität Mannheim (ZIS) zum mittlerweile 12. Mal organisierten Veranstaltung hörten interessiert zu.
Joachim Exner, der sich als „großer Fan des Schutzschirmverfahren“ bezeichnete, wies zunächst darauf hin, dass der Anteil der Eigenverwaltungsverfahren seit Inkrafttreten des ESUG „ganz stabil bei 2,7% in einem Umfeld allgemein rückläufiger Insolvenzzahlen“ liege. Freimutig räumte er ein, dass die Eigenverwaltungen bislang „kein Massenphänomen“ geworden sind. Aber: Bei den 50 größten Unternehmensinsolvenzen des vergangenen Jahres lag der Anteil umsatzbezogen bei immerhin 20%.
Die Frage, ob das ESUG ein Erfolgsmodell sei, bejahte der Fachanwalt für Insolvenzrecht trotzdem ausdrücklich. Immerhin biete eine „vorläufige und seriöse Eigenverwaltung (…) bei entsprechender Qualifikation der Geschäftsleitung die Möglichkeit, die Sanierung eines Unternehmens unter Aufsicht eines vorläufigen Sachwalters selbst zu steuern.“ Im Umkehrschluss: „Wird die vorläufige Eigenverwaltung für einen schlecht vorbereiteten Sanierungsversuch eines hierfür ungeeigneten Unternehmens falsch eingesetzt oder werden andere, sanierungsferne Zwecke verfolgt, kann das absehbare Scheitern nicht dem Verfahren an sich zugeschrieben werden.“ Die ersten drei bis vier Wochen in einem Verfahren seien entscheidend. Positiv bewertete der Fachanwalt die Möglichkeit, dass wichtige rechtsträgerbezogene Lizenzen, Genehmigungen und Zertifizierungen im Rahmen des Schutzschirmverfahrens (§ 270b InsO) erhalten bleiben.
Insgesamt, so Joachim Exner, habe sich der Horizont der Sanierungsbranche seit Einführung des ESUG deutlich erweitert und die Vorbereitung von Sanierungen sei „durchaus professioneller geworden.“ Das Eigenverwaltungsverfahren werde „als gleichberechtigt neben den Regelinsolvenzverfahren akzeptiert.“ Außerdem betonte Exner, dass in geeigneten Verfahrenskonstellationen die Eigenverwaltungsverfahren einem Regelverfahren weit überlegen sind. Ein deutliches Pro Argument sei außerdem der Umstand, dass ein „insolvenzrechtliche Engineering“ ermöglicht bzw. verbessert wurde. Für minimalinvasive Eingriffe zur Sanierung sei eine Kombination aus finanz- und leistungswirtschaftliche Sanierung im Plan und das ein „Dual Track“ stehe als weiterentwickelte Option zur Ergebnisoptimierung und Schaffung einer Rückfallebene zur Verfügung.
In seiner Gegenrede räumte Prof. Dr. Christoph Thole zunächst ein, dass es einen gefühlten Bedeutungszuwachs des Restrukturierungsgedankens, der Eigenverwaltung und der Sanierungskultur gebe. Zurzeit habe er allerdings auch den Eindruck, dass eine Art „Sanierungshype“ existiere, „der eine gewissen Form von Selbstzweck verfolge.“ Gleichwohl habe die Professionalisierung von Beratern und Insolvenzverwaltern und Sanierern insgesamt zugenommen und eine echte leistungswirtschaftliche Sanierung sei heute eine reale Option. Mit Blick auf den von Joachim Exner erwähnten 2,7%-Anteil der Eigenverwaltungsverfahren meinte er süffisant, dass dies doch ein wenig „mickrig“ sei und die ESUG-Ziele bislang „insgesamt eher nicht“ erreicht worden sind.
Kritisch äußerte sich der Mitherausgeber des „Heidelberger Kommentars“ beispielsweise mit Blick auf die Unsicherheiten bei der Anordnung, da die vorhandenen Spielräume eine Missbrauchsgefahr in sich tragen würden. Auch die Gefahr eines Missbrauchs der Eigenverwaltung sei „zumindest gegeben“. Darüber hinaus richtete der Buchautor („Insolvenz und Sanierung: Quo vadis?“) sein Augenmerk auf die Problematik mitgebrachter Sachwalter „mit offensichtlichen Anreizverzerrungen“ und das Problem der Unabhängigkeit, „die man nicht wegdiskutieren kann“. Im Klartext: Ohne unabhängige Personen geht Restrukturierung nicht!“