2015-10-09 | PDF
FOCUS Ausgabe 31/2015
Loewe, Grundig und jetzt Metz: Insolvenzverwalter Joachim Exner wickelt „Made in Germany“ ab. Dennoch wehrt er sich gegen den Vorwurf, ein Plattmacher zu sein. Einblicke in eine verrufene Branche
Text: BEATE STROBEL Fotos: TIMM SCHAMBERGER
ein heikelster Moment ist das erste Zusammentreffen mit der Belegschaft. Um gesehen zu werden, tritt er auf ein herbeigeschobenes Podest, auf einen Treppenabsatz, eine Laderampe. Die Mitarbeiter blicken hoch zu ihm: Augen voller Sorge, Wut oder auch Resignation. Sie sehen in dem Mann nicht ihren Retter, sondern den Gegner, die Personifizierung der Krise. Er ist für sie derjenige, der ihnen womöglich den Job nehmen, die Zukunft stehlen wird. Ohne vorgefertigte Rede steht er da, ohne Zettel in der Hand. Dafür angespannt von Kopf bis Fuß. „Es gibt nichts Intensiveres“, findet dieser Mann, und seine hellgrünen Augen leuchten.
Joachim Exner ist Insolvenz verwalter. Für die Kanzlei Dr. Beck & Partner – 180 Mitarbeiter an acht Standorten – ist er seit 1996 tätig. Mehr als 400 Firmen pleiten hat er seither begleitet, darunter Loewe, Grundig und – aktuell – Metz. Konzerne, die einst zum Fundament des deutschen Wirtschaftswunders gehörten. Seit Jahren versucht Exner, in seiner Heimat Franken zu retten, was den nationalen Wohlstand mitbegründete. Er wickelt „Made in Germany“ ab. Wird der 50Jährige vom Amts gericht bestellt, tritt er meist am Tag darauf vor die Mitarbeiter. Er weiß: „Ich habe nur diese eine Chance, die Belegschaft dafür zu gewinnen, mit mir für das Unternehmen zu kämpfen.“
Und wenn das schiefgeht?
„Keine Ahnung. Ich habe sie glücklicherweise bisher immer bekommen.“
Der Tag, an dem FOCUS den Insolvenzverwalter bei seiner Arbeit begleitet, beginnt um 7.45 Uhr in Uttenreuth bei Erlangen: Am Ende einer Sackgasse voll schmucker Einfamilienhäuser fährt Joachim Exner seinen BMW aus der Doppelgarage, ein Dienstwagen mit knapp 200 000 Kilometern auf dem Tacho. Der Innenraum sieht trotzdem fast fabrikneu aus, lediglich eine Packung Zigaretten liegt in der Mittelkonsole.
Derzeit leitet Exner vier Insolvenzverfahren. Das geht nur, weil er in jedem Betrieb Mitarbeiter installiert hat, denen er zutiefst vertraut: „Insolvenzverwaltung ist keine Einmannshow, sondern immer Teamarbeit“, doziert er hinterm Lenkrad. Exners Schmerzgrenze fängt bei sechs Insolvenzen gleichzeitig an.
Mit Schwung fährt der Verwalter auf den Hof der Bamberger Firma Oeka, eines mittelständischen Betriebs für Kunststoff und Metallverarbeitung. 2014 hatte der Familienbetrieb noch den 100. Geburtstag gefeiert und ein wirtschaftlich starkes 2013. Dann brachen die Aufträge weg. Im Januar 2015 musste Inhaber Gerald Oehlhorn, ein sanft wirkender Mann Ende 50, den bittersten Gang antreten und einen Antrag auf Insolvenz einreichen.
„Jetzt ist alles aus“, dachte er.
Während des Fußmarsches über den Firmenhof in Richtung Fabrikhalle erinnert sich Exner an den Moment, in dem er erstmals vor den 316 OekaMitarbeitern stand. Und ihnen erzählte von „grundsätzlich guten Chancen für eine Rettung“.
Woher wusste er da schon, ob die Firma gerettet werden kann?
„Ich wusste es nicht, ahnte es nur.“ Warum sagten Sie es dann?
„Weil Vertrauen in den ersten Wochen das A und O ist. Ohne Hoffnung auf eine Zukunft erodiert das Unternehmen binnen kürzester Zeit. Und dann ist wirklich nichts mehr zu retten.“ Exner meint es stets ernst, wenn er von Rettung spricht. Zum einen, weil er sich dem Credo verpflichtet fühlt, auf das in der Kanzlei alle Mitarbeiter eingeschworen werden: „Es gibt in jedem Betrieb einen rettungswerten Kern – findet ihn!“ Zum anderen, weil Exner sich tagtäglich mit seiner Arbeit gegen das Pauschalurteil stemmt, ein Insolvenzverwalter sei nichts weiter als ein Plattmacher. Eine Art Bestattungsunternehmer.
Hört er diese Bezeichnungen, verhärtet sich Exners Gesicht.
„Das ist so nicht wahr“, sagt er. 2009 musste er das letzte Mal eine größere Firma stilllegen. In den meisten Fällen laufe es aber auf eine „übertragende Sanierung“ hinaus, Verwalterjargon für den Verkauf gesunder Firmenanteile an Interessenten. Die dann – bestenfalls – den Betrieb weiterführen. Oder ihn – schlimmstenfalls – plattmachen. Jurist Exner verteidigt seinen Job, weil er ihn liebt. Und er liebt ihn, weil der das Gegenteil von Routine ist. Ein Insolvenzver walter muss Betriebswirt sein, Projektmanager, Unterhändler und immer auch Seelsorger. Exners fester Händedruck gibt geknickten Firmeninhabern das Gefühl, dass hier jemand zupacken kann.
Beim Gang durch die Werks halle von Oeka spricht Exner nicht aus sicherer Distanz über die Firma, sondern in der ersten Person Plural: „Wir produzieren...“ Vor den mächtigen Maschinen, die Metallplatten zu Autoteilen umformen und den Boden vibrieren lassen, präsentiert er die Produktpalette mit dem Stolz eines Unternehmers. Im April verzeichnete Oeka bereits die „schwarze Null“. Unter anderem, weil 93 Mitarbeiter gekündigt wurden. Ein Schritt, den Oehlhorn viel zu lange gescheut hatte. Als Chef eines Familienbetriebs in dritter Generation fühle man sich eben verantwortlich für die Leute. Und dann war es zu spät.
Auch Exner fallen Kündigungen schwer. Trotzdem: „Ein Verwalter, dem Kündigungen zu viel ausmachen, ist in diesem Job fehl am Platz.“ Aber: „Ein Verwalter, dem das nichts mehr ausmacht, erst recht.“ Paragraf eins der Insolvenzordnung verpflichtet den Verwalter dazu, „die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen“. Vom Retten der Firma, vom Erhalt der Arbeitsplätze ist nicht die Rede. Das eine ist Pflicht, das andere Kür.
Exner sagt allerdings, es ginge ihm immer auch um die Mitarbeiter. Er sei schließlich in den 70ern sozialisiert worden, Palästinensertuch und CheGuevara Bärtchen inklusive. Er weiß, was es für eine Familie bedeutet, wenn der Hauptverdienst plötzlich ausbleibt: Der Vater starb jung, die Mutter zog die vier Kin der allein groß. Dennoch, sagt Joachim Exner, sei seine Kindheit reich an Entwicklungsmöglichkeiten gewesen: „Wir hatten alles, nur nicht viel Geld.“
In einem fensterlosen Konferenzraum befindet Exner nun angesichts der an die Wand geworfenen Oeka Betriebskennwerte nüchtern: „Noch nicht wirklich sexy.“ Trotzdem könne man das Unternehmen so auf dem Markt feilbieten. Exner will noch etwas sagen, da klingelt das Handy: Anruf aus Südkorea. Bei einem von Exners aktuellen Sorgenkindern hat ein Zulieferer kalte Füße bekommen.
Alarm! Ohne Zulieferung keine Produktion. Ohne Produktion kein Umsatz. Ohne Umsatz keine Zukunft. „Ich kümmere mich“, sagt Exner mit sehr ruhiger Stimme ins Handy und legt auf. Sitzt ganz still, guckt ins Nichts. OekaGeschäftsführer Oehlhorn blickt erschrocken in die Runde, bis Exners Kollegen ihn beschwichtigen: „Hat nichts mit Ihnen zu tun.“ Dann entschuldigt sich Exner und verlässt den Raum. Um 15 Minuten später voller Elan zurückzukehren: Der Koreaner konnte überzeugt werden, die Lieferkette steht wieder. Joachim Exner lacht gelöst.
„An schlechten Tagen gibt es 20 solcher Momente, in denen ich denke, es geht nicht weiter.“
Und an guten Tagen?
„Sind es fünf.“
Wäre Exner jetzt zu Hause, würde er sich das Rennrad schnappen oder Hündin Ronja: raus an die Luft. Kopf frei bekommen. Distanz gewinnen. Und dann weitermachen.
Stattdessen steigt Joachim Exner in seinen Wagen. Per Handy berät er einen jungen Kollegen, der erstmals eine Telefonkonferenz mit 16 wenig zimperlichen Autozulieferern leiten soll. „Zurückschnappen, wenn die bissig werden“, ruft Exner ihm über Freisprechanlage zu.
„Sie können das. Denken Sie daran: Wir sind die Guten!“
Sind sie das? Exners Ruf klingt danach. „Der ist nicht verkehrt“, sagt ein Branchenkollege. „Der ist modern, fällt nicht in Schock starre, wenn es brenzlig wird.“ Exners Reputation ist das, was er bei jeder Insolvenz riskiert. Sicher, er haftet auch persönlich für jeden Massekredit, den er aufnimmt, um die Liquidität„seiner“ Firmen zu sichern. Doch auch sein Ruf als Verwalter würde leiden, sollte der Kredit nicht zurückgezahlt werden.
Ruhig liegt das Firmengelände von Metz in einem Wohnviertel von Zirndorf. Der Produzent von Fernseh und Blitzgeräten sowie Kunststoffteilen für den Auto markt, 1938 gegründet, meldete Ende 2014 Insolvenz an. Beim Personal wurde inzwischen drastisch reduziert, von 540 Ange stellten auf knapp 300. Trotzdem ist Exner für den Betriebsratsvor sitzenden Klaus Wilke nicht der Buhmann: „Ich hatte ja anfangs befürchtet, dass wir froh sein können, wenn 30 Prozent der Belegschaft erhalten bleiben.“
Heute ist die Stimmung in der Firma gemischt. Die verbliebenen Mitarbeiter der Blitz und Kunststoffabteilung sind guter Dinge, weil seit 1. Mai mit dem Franken Wilhelm Daum ein „echter Unternehmer“ die Sparte übernimmt. Die Leute in der TVAbteilung dagegen sind verunsichert: Was hat „der Chinese“ vor? Der Konzern Skyworth aus der Boomtown Shenzhen hat diesen Bereich zum 1. Juni übernommen. „Schauen wir mal“, sagt Wilke vorsichtig. Um dann nachzuschieben, dass der neue Besitzer schon sehen werde: „Wir können was!“
Neubesitzer Daum kommt dazu und erzählt, Exner sei der Grund, warum der Deal zu Stan de gekommen sei: „Die Chemie stimmte zwischen uns. Dadurch steht der Kauf unter einem guten Stern.“ Auch wenn Daum natürlich der Meinung ist, „viel zu viel“ gezahlt zu haben für die MetzAnteile. Er zwinkert Exner zu. Und der freut sich. Jetzt ist Metz nicht plattge macht, aber „entflochten“ worden. Spricht Exner dennoch von einer geglückten Insolvenz?
„Wir sind mit Metz auf einem guten Weg“, sagt er spröde. Und erzählt, dass in der Blitz und Kunststoffsparte bereits wieder Stellen ausgeschrieben werden. Ein wichtiges Signal – für die Belegschaft, die Kunden und auch für die Region.
Am frühen Abend geht er noch einmal zurück in die Kanzlei für „ein bisschen Papierarbeit“. In seinem Eckbüro ist es extrem ordentlich. Über der Schreibunterlage liegen dekorativ angeordnet Steinchen – Mitbringsel von Nichten und Neffen. Darunter sind die Stifte im stets gleichen Abstand sauber aufgereiht.
„Ich habe es gern ordentlich“, sagt Exner. „Vielleicht, weil um mich herum so viel Chaos herrscht.“
Ebenfalls auf dem Schreibtisch liegt ein schmales Buch, Epiktets „Handbüchlein der Moral“. Es sieht abgegriffen aus. „Tatsächlich“, sagt Exner, „schadet es einem Insolvenzverwalter nicht, sich wenigstens einmal am Tag Gedanken über Moral zu machen.“
Auf dem Sideboard stehen Tombstones aus Plexiglas. In jeden sind Fimenlogos eingraviert. Sie erinnern an Insolvenzen, die Exner erfolgreich begleitet hat. Seine „EgoWand“, scherzt er. Auf sie guckt er, wenn er Ermunterung braucht. Und auf keinen Fall will er, dass sie fotografiert wird. Zu groß sei die Gefahr, dass seine Memora bilien wie Trophäen wirken, wie die Strecke eines Jägers. Doch für Exner stehen all die Plexiglas Rechtecke nicht allein für das Erreichte, sondern auch für die Menschen, in deren Leben er mitunter massiv eingegriffen hat: „Menschen, die es nicht verdient haben, dass man sich auf ihre Kosten profiliert“.
Vor etwa acht Jahren nahm sich ein Firmeninhaber das Leben, nachdem er den Insolvenzantrag eingereicht hatte. Exner konnte ihm nicht mehr beweisen, dass eine Insolvenz nicht zwingend das Ende von allem ist. Sondern womöglich der Anfang von etwas Neuem. In Erinnerung an diesen Fall weitet Exner seinen Blick in die Ferne, horcht in sich hinein. Und befindet dann, dass Deutschland eine Kultur des Scheiterns fehlt. In Übersee gehen auch Firmen pleite. Doch USUnternehmer stehen wieder auf, klopfen sich den Staub vom Jackett und fangen neu an.
Es ist nach 20 Uhr, als Joachim Exner heimkehrt nach Uttenreuth und seinen Wagen in die Sackgasse lenkt. Aus seinem Haus hört man Freudengebell. Vor einigen Jahren sah Exner Mischlingshündin Ronja auf einem Reiterhof, angekettet und mit tieftraurigem Blick. Exner holte sie zu sich nach Hause. Rettung ist schließlich sein Ding.