12.03.2014 | PDF
Süddeutsche Zeitung
Der Autozulieferer Scherer & Trier ist pleite. Der Bürgermeister von Michelau ist beunruhigt, doch Insolvenzverwalter und Gewerkschaft sind zuversichtlich.
Michelau – Für Helmut Fischer sind es schwere Stunden. Der Bürgermeister von Michelau hat am Tag zuvor erfahren, dass der Kunststofftechnikbetrieb Scherer & Trier Insolvenz angemeldet hat. Und der CSU-Mann hat in einer ersten Reaktion von einem "GAU" gesprochen, vom größten anzunehmenden Schaden, den er sich für seine Gemeinde vorstellen könne. Immerhin sind allein im Michelauer Stammhaus 2000 Mitarbeiter beschäftigt, und etwa 1000 davon stammen direkt aus dem Ort oder den Nachbargemeinden. Da, findet Fischer, könne man das große Wort vom GAU schon mal in dem Mund nehmen. Auch wenn sie das in dem Familienbetrieb offenbar anders sehen. Der Bürgermeister hat noch am Morgen einen bösen Anruf bekommen. Aus dem Unternehmen.
Beim zweitgrößten Arbeitgeber im Landkreis Lichtenfels ringen sie schon seit Jahren um Luft. Vor vier Jahren, als viele Automobilzulieferer ins Straucheln gerieten, gab es harte Einschnitte, 300 Mitarbeiter mussten gehen. Danach stabilisierte sich die Lage, aber auch danach sorgten sich die Michelauer immer mal wieder um den mit Abstand größten Betrieb in der 6500-Einwohner-Gemeinde. Mal bekamen die Beschäftigten ihr Geld nicht rechtzeitig, dann machten Gerüchte vom anstehenden Verkauf des Familienbetriebs die Runde; auch Gerüchte von aufgelaufenen Verbindlichkeiten hielten sich standhaft. Dass es jetzt aber so richtig eng wird, will der Bürgermeister erst vor wenigen Tagen erfahren haben. Fischer steht unter Strom: "Eine so große Firma braucht wohl einen so kleinen Bürgermeister nicht", schimpft er. Die Nerven liegen blank in Michelau.
Wobei die Chancen für den Betrieb auch nach der Insolvenz nicht so schlecht stehen, wie es dem Bürgermeister auf den ersten Blick erscheinen mag. Die Auftragsbücher sind voll, Sonderschichten und Wochenenddienste sind im Betrieb keine Ausnahme, "es ist Arbeit da, das ist für jeden ersichtlich", sagte einer, der es wissen muss. Und so betont auch der vorläufige Insolvenzverwalter Joachim Exner, dass dem Unternehmen bis dato kein Kunde von der Stange gegangen ist. Und die Produktion weitergeht wie bisher. Exner steht im Ruf, ein Sanierer zu sein, kein Abwickler. Er sieht "gute Chancen für eine Sanierung". Zumindest für die kommenden drei Monate sind Löhne und Gehälter gesichert.
Den Landrat Christian Meißner beruhigt das nur mäßig. Es gehe schließlich nicht um irgendeinen Betrieb im Norden Oberfrankens, es "geht um ein Rückgrat unseres Arbeitsmarktes hier", sagt er. Meißner weiß seit Monaten von der Malaise in dem Betrieb, bislang aber war die Maxime, in Ruhe um eine Lösung zu ringen. " Jetzt aber ist das Kind in den Brunnen gefallen, und jetzt müssen alle zeigen, dass uns das nicht wurscht ist", sagt der CSU-Mann, " auch der Staatsregierung nicht." Es gehe um ein Signal an die Auftraggeber aus der Automobilindustrie: Die bestellen langfristig nur, wenn sie auch sicher sein könnten, dass die benötigten Teile aus Michelau auch rechtzeitig fertig werden.
Scherer & Trier weiß der Landrat, habe das Problem, dass den Betrieb außerhalb von Lichtenfels kaum einer kenne. Beliefert aber werden von Oberfranken aus nahezu sämtlichen deutschen Automobilhersteller. Wer Daimler, VW, Porsche oder BMW fährt, der kann sicher sein, mindestens ein Kunststoffteil aus Michelau im Auto zu haben. "Aber es steht halt nicht auf der Dachzierleiste drauf", sagt Meißner.
Finanzielle Hilfen? Meißner ist da ebenso skeptisch wie der örtliche Landtagsabgeordnete. "Aber die Politik muss das jetzt moderieren", fordert Jürgen Baumgärtner (CSU). Auch wenn es hinreichend Anlass gibt, guter Hoffnung zu sein. Was sogar Gewerkschaftsvertreter so sehen: Sie sie angesichts der Lage "überzeugt davon", dass der 1967 gegründete Betrieb seine Arbeit fortsetzen kann, sagt Astrid Meier, stellvertretende Landesvorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie. Das mag schon so sein, sagt Bürgermeister Fischer. Aber bis zur Rettung halte er alle Beschwichtigungen für "leeres Gerede".
Von Olaf Przybilla