12.03.2014 | PDF
Obermain-Tagblatt
Rund 2000 Mitarbeiter am Hauptsitz von Kunststofftechnik Scherer & Trier bangen um ihre Arbeitsplätze. Seit am Montag „die Bombe“ platzte und die Insolvenz publik wurde, wird im Kollegenkreis viel und kontrovers diskutiert. Es gibt geteilte Meinungen. Manch einer ist zuversichtlich, andere machen sich große Sorgen. Die Hoffnungen ruhen auf dem Insolvenzverwalter Joachim Exner – und darauf, dass die Politik ihre Versprechen einhalten möge.
„Angst? Nein, das auf jeden Fall nicht. Eher gespanntes Abwarten“, umschreibt ein Mitarbeiter die Situation in der Firma. „Wir warten auf kommenden Montag. Was da kommt, weiß keiner.“ Für Montag ist die nächste Betriebsversammlung angesetzt. Der erste Eindruck vom Insolvenzverwalter ist positiv: „Es macht Mut, ihn zu sehen. Wir hoffen, dass er jemand ist, der zupackt.“ Die Körpersprache und seine schwungvolle Rede beim ersten Auftritt vor versammelter Mannschaft kam sehr gut an. Exner steht im Ruf, ein Sanierer zu sein – und kein Abwickler.
Ein anderer Scherer & Trier-Mitarbeiter sieht die Situation nicht ganz so hoffnungsvoll. „Unser Problem ist, dass von den rund 2000 Mitarbeitern viel zu viele in der Verwaltung tätig sind und nicht in der Produktion“, meint er. „Ich habe den Eindruck, dass hier Jobs geschaffen wurden, die es nicht wirklich braucht.“ Seine Hoffnung ist, dass der Insolvenzverwalter die Firma nun gründlich durchleuchte und solche Missstände anprangere.
„Bei uns in der Produktion ist die Stimmung wirklich schlecht. Sehr, sehr schlecht.“ Existenzangst und Unsicherheit machten sich breit. Wenngleich die Löhne und Gehälter in den nächsten drei Monaten gesichert sind. Dafür garantiert die Agentur für Arbeit.
„Der vorläufige Insolvenzverwalter muss sich erst einmal selbst ein Bild machen“, sagt sein Sprecher Sebastian Glaser. Schwerpunkt für Exner sei, dafür zu sorgen, dass nach dem Schrecken wieder Normalität einkehrt, was das operative Geschäft angehe, also dass weiter produziert und weiter geliefert werden kann. „Für eine Prognose ist es noch zu früh. Jedoch hat Scherer & Trier gute Kunden, gute Kundenbeziehungen und hochwertige Produkte – das sind im Grunde gute Voraussetzungen für eine Sanierung.“ Norbert Jungkunz von der Katholischen Betriebsseelsorge kann sich bestens einfühlen. „Wer diese Situation einer Insolvenz als Arbeitnehmer erlebt, hat meistens seit langer Zeit nichts mehr zu lachen und schon viele schlaflose Nächte hinter sich“, erläutert er. „Es ist hilfreich, wenn einer da ist, der sich die Ängste und Sorgen, die Wut und Enttäuschung anhört und teilt. Zuerst biete ich den Betriebsräten meine Unterstützung an, die mit der Situation und den Entscheidungen des Arbeitgebers umgehen und Handlungsstrategien entwickeln müssen.“ Sie brauchten einen klaren Kopf. Da helfe dann jemand von Außen, der die Situation kennt. Termine könnten jederzeit abgesprochen werden unter Tel. (0951) 9169152. Oft sei der erste Weg über die Betriebsräte, die mit ihm Kontakt aufnehmen. „Den Arbeitsplatz zu verlieren ist die größte Angst. Viele fühlen sich verraten und auch verschaukelt“, meint der Betriebsseelsorger. „Ich möchte die Beschäftigten ermutigen zusammenzuhalten, sich zu organisieren, gemeinsam mit Gewerkschaft IG BCE (Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Bergbau) und dem Betriebsrat die schwierige Herausforderung anzugehen. Es gehört Mut dazu, den Mund aufzumachen, Forderungen zu stellen, Arbeitnehmerrechte zu bewahren.“ Und es gehöre auch Mut dazu, der Situation jetzt mit offenen Augen zu begegnen. Die IG BCE wurde am Montagmorgen vom vorläufigen Insolvenzantrag des Automobilzulieferers richtiggehend überrumpelt. Die stellvertretende Landesbezirksleiterin Astrid Meier eilte nach Michelau. „Dies ist eine schwierige Situation für die Arbeitnehmer. Nun geht es in erster Linie darum, die Arbeitsplätze in dieser Region zu erhalten. Daneben gilt es im weiteren Verfahren, die Rechte unserer Mitglieder zu vertreten“, heißt es in einer Pressemitteilung. „Die Auftragsbücher sind gut gefüllt, die Belegschaft ist engagiert und verdient die Fortführung des Unternehmens. Wir sind davon überzeugt, dass dieses Ziel erreicht werden kann.“
Landrat Christian Meißner ist bereits tätig geworden. Unter anderem hat er sich in einem gemeinsamen Brief mit den Abgeordneten aus der Region, Emmi Zeulner (MdB), Jürgen Baumgärtner (MdL) und Monika Hohlmeier (MdEP), an Ministerpräsident Horst Seehofer und Wirtschaftsministerin Ilse Aigner gewandt. Am Dienstag wurde er persönlich bei der Staatsregierung vorstellig. Meißner fordert ein Gespräch vor Ort. Wirtschaftsministerin Ilse Aigner hat bereits Unterstützung zugesagt.
„Die Nachricht war schlimm für Michelau, da die Firma der größte Arbeitgeber unserer Gemeinde ist“, sagte Erster Bürgermeister Helmut Fischer dem Obermain-Tagblatt. Als Bürgermeister könne er nur mit Gesprächen und Appellen tätig werden. Insolvenzverwalter Exner haben ihn zusammen mit Martin und Hartmut Trier (zwei der vier Geschäftsführer) am Dienstagnachmittag über die Situation und die positiven Aussichten ausführlich informiert, „sodass ich vorerst etwas gelassener in die Zukunft des Unternehmens und seiner Mitarbeiter schaue.“ Auch er fordert die Staatsregierung zur Unterstützung auf.
„Wir werden Scherer & Trier nicht im Regen stehen lassen“, verspricht Landtagsabgeordneter Jürgen Baumgärtner auf OT-Nachfrage. „Ich setze mich bereits für eine tatkräftige Unterstützung von Seiten des Freistaats Bayern ein.“ Hierzu stehen er und MdB Zeulner in engem Kontakt mit dem Bayerischen Wirtschaftsministerium – und zwar direkt mit der Ministerin. „Es wird in den nächsten Tagen auszuloten sein, welche Möglichkeiten der Freistaat einbringen kann“, sagte er. Seit sechs Wochen ist Baumgärtner in die Gespräche eingebunden. „Ich habe vor Ort an der Entwicklung von Lösungsansätzen mitgearbeitet und bereits im Wirtschaftsministerium deutlich gemacht, wie wichtig das Überleben von Scherer & Trier für unsere Region ist.“ Der Abgeordnete ist zuversichtlich.
MdB Emmi Zeulner kennt viele Scherer & Trier-Mitarbeiter persönlich. „Als heimische Abgeordnete tue ich alles in meiner Macht Stehende dafür, Arbeitsplätze in der Region zu halten.“ Mit dem Schreiben an die Staatsregierung wolle man „alle Ressourcen für die Region abrufen. Wie genau eine Lösung aussehen kann und wann diese greifen könnte, muss gemeinsam mit der Unternehmensführung und dem Insolvenzverwalter erarbeitet werden.“ Oberstes Ziel sei es, das Unternehmen wieder auf sichere Füße zu stellen, um das Know-how zu halten und den qualifizierten Arbeitskräften weiterhin eine sichere Stelle zu bieten. Die Unternehmensleitung gab gestern keine Stellungnahme ab.
„Die Nachricht war schlimm für Michelau, da die Firma der größte Arbeitgeber der Gemeinde ist.“
Helmut Fischer Erster Bürgermeister