03.08.2007
Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt
Verschwundene Millionen, Luxus-Uhren auf Firmenkosten, Bauarbeiter, die erbost die Firmenzentrale stürmten: Vor einem Jahr, am 4. August 2006, machten der Betriebsrat und die IG BAU Franken dem Wirtschaftskrimi im Nürnberger Traditionsunternehmen Brochier ein Ende: Sie beantragten die Insolvenz. Zwölf Monate später ziehen die Gewerkschafter Bilanz – und sind zufrieden. Bei Brochier sei Rechtsgeschichte geschrieben worden.
„Für die Beschäftigten ist die Pleite zum großen Teil glimpflich ausgegangen“, so Paul Schmid, Insolvenz-Experte der IG BAU in Franken. 650 der rund 730 Beschäftigten hätten inzwischen wieder Jobs – auch durch die Vermittlung der Gewerkschaft. „Eine Insolvenz ist immer ein trauriger Fall. Aber bei Brochier hätte es auch zum Super-Gau kommen können“, erinnert sich Schmid.
Zwei Jahre vor der Insolvenz hatte die britische Firma „Aubach Capital“ das Nürnberger Traditionsunternehmen übernommen. Was folgte, lasse sich nur noch mit einer Heuschreckenplage beschreiben, so Paul Schmid. „Das Unternehmen wurde ausgeblutet. Der Geschäftsführer bereicherte sich auf dem Rücken der Beschäftigten“, erinnert sich der Gewerkschafter.
Als die Firma – inzwischen als britische Limited eingetragen – am Boden lag, drohte ein Insolvenzverfahren vor englischen Gerichten. „Das wäre der Genickbruch für die Beschäfigten gewesen. Denn das englische Recht kennt weder Insolvenzgeld, noch hätte der Betrieb weitergeführt werden können“, erklärt Schmid. Betriebsrat und Gewerkschaft gingen in die Offensive: Sie beantragten in Nürnberg die Brochier-Insolvenz – und britische Gerichte folgten diesem Antrag.
In der Welt der Finanzinvestoren löste dieses Urteil ein kleines Erdbeben aus. „Die Zeiten, in denen in weit entfernten Gerichtssälen heimische Betriebe kurzerhand platt gemacht werden, sind vorbei. Jedem Finanz-Joungleur muss jetzt klar sein: Wenn er in Deutschland den Karren in den Dreck setzt, dann muss er ihn auch hier wieder rausziehen“, zeigt sich Paul Schmid zufrieden. Im Falle von Brochier erhielten die Beschäftigten so ihr Insolvenzgeld; der Betrieb der fast 140 Jahre alten Firma konnte weitergeführt werden. Nach Meinung des Brochier-Insolvenzverwalters, Rechtsanwalt Joachim Exner, hat das Urteil ein Stück Rechtsgeschichte geschrieben. „Hier sind die Arbeitnehmerrechte bei Insolvenzverfahren nachhaltig gestärkt worden“, so Exner.
Dass die meisten Brochier-Beschäftigten den Jahrestag der Insolvenz nicht auf dem Arbeitsamt verbringen müssen, ist für Hans Beer, Regionalleiter der IG BAU Franken, ein gemeinsamer Erfolg von Betriebsrat, Insolvenzverwalter und der IG BAU. „Man sieht, was möglich ist, wenn in so einer schwierigen Lage alle an einem Strang ziehen“, so Beer. Der Kampf um Brochier habe viel Kraft gekostet. „Aber wenn dabei 650 Menschen und ihre Familien vor dem Ruin bewahrt werden können, hat sich dieser Kampf gelohnt“, so Beer.